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Die Illusion der Unwiderruflichkeit: Warum Konsens in Familienunternehmen entscheidender ist als Verträge

In Familienunternehmen werden Eigentumsverhältnisse oft als unverrückbar angesehen. Doch rechtliche Strukturen ohne Anpassung an die Realität werden schnell zur existenziellen Bedrohung.
Konsens ist entscheidender als Verträge – aber wie diese muss er aktiv gepflegt werden.
Regelmäßige Überprüfung, offene Diskussionen und gezielte Beratung machen Eigentum zukunftsfähig, stärken den Familienzusammenhalt und fördern die Gesellschafterkompetenz.

 

Familienunternehmen stehen auf drei Säulen: Familie, Unternehmen und Eigentum. Diese Systeme sind miteinander verwoben, doch sie entwickeln sich oft mit unterschiedlichem Tempo. Während sich die Familie durch Geburten, Heiraten oder Erbstreitigkeiten verändert, kann das Unternehmen wachsen, Krisen überstehen oder sich neu erfinden. Doch ein Bereich bleibt in vielen Unternehmerfamilien oft unangetastet: die Eigentumsverhältnisse.


Warum? Weil rechtliche Strukturen – sei es in Form von Gesellschaftsverträgen, Nachfolgeregelungen oder Treuhandstrukturen – als „unwiderruflich“ betrachtet werden. Das Problem: Wenn sich Unternehmen und Familie weiterentwickeln, während das Eigentum statisch bleibt, entsteht ein gefährlicher Spannungszustand. Eigentümer klammern sich an Dokumente, die längst nicht mehr zur Realität passen, und verlieren aus den Augen, dass der wahre Schlüssel zur Veränderung im Konsens liegt.


Der Mythos der Unwiderruflichkeit – und seine gefährlichen Folgen

Warum wird Unwiderruflichkeit so oft überschätzt?


Unsere Erfahrung zeigt drei Hauptgründe:

  1. Der Wortlaut als mentale Barriere: Steht in einem Vertrag oder Urkunde „unwiderruflich“, dann wird es als in Stein gemeißelt betrachtet – selbst wenn Änderungen rechtlich möglich wären.


  2. Der Aufwand schreckt ab: Auch wenn Verträge anpassbar sind, kostet es Zeit, Geld und Nerven, sie zu überarbeiten. Viele Eigentümer vermeiden diesen Prozess aus Bequemlichkeit oder Angst vor internen Konflikten.


  3. Der unterschätzte Hebel des Konsenses: Selbst die komplexesten Verträge lassen sich ändern – sofern die betroffenen Eigentümer sich einig sind. Doch genau hier liegt das eigentliche Problem: Konsens entsteht nicht von selbst, sondern muss aktiv gepflegt werden.


Ein Familienunternehmen, das sich auf die vermeintliche Sicherheit rechtlicher Strukturen verlässt, läuft Gefahr, irgendwann vor einer Eigentumsstruktur zu stehen, die weder die unternehmerische Realität noch die familiären Beziehungen widerspiegelt.

Das kann teuer werden – und im schlimmsten Fall die Zukunft des Unternehmens gefährden.

Ein Fall aus der Praxis: Wie Stillstand fast zum Untergang führte

Betrachten wir eine Familie, die ihr Unternehmen über acht Jahrzehnte hinweg aufgebaut hat. Fünf Geschwister haben das Unternehmen einst übernommen, als sie jung und hochmotiviert waren. Die Eigentumsstruktur blieb über die letzten 40 Jahre hinweg unverändert. Doch dann der Schock: Die alten Regelungen enthielten eine „Last Man Standing“-Klausel, nach der die Anteile verstorbener Geschwister automatisch an die Überlebenden fielen – zu einem veralteten, viel zu niedrigen Preis.


Das Problem? Die vorhandenen Versicherungspolicen deckten den realen Unternehmenswert längst nicht mehr ab. Der plötzliche Tod eines Geschwisters hätte entweder einen Zwangsverkauf oder eine existenzbedrohende Liquiditätskrise ausgelöst.

Die Frage lautete nun: War diese Regelung wirklich „unwiderruflich“ – oder konnte die Familie sie anpassen?
Die Antwort war klar: Wenn sich die Geschwister auf eine neue Lösung einigen konnten, ließen sich die Verträge anpassen. Doch genau hier begann der eigentliche Kampf: Über Jahre hinweg hatten sich Konflikte angestaut, insbesondere über die Rolle der nächsten Generation. Die Geschwister mussten sich nicht nur über neue Gesellschafterverträge einig werden, sondern gleichzeitig alte Verletzungen und Missverständnisse aufarbeiten.

Letztlich gelang es ihnen, durch professionelle Moderation eine Einigung zu erzielen. Doch der Prozess war zäh – und hätte vermieden werden können, wenn die Eigentümerfamilie ihre Vertragsstruktur regelmäßig überprüft und offen über sinnvolle Anpassungen gesprochen hätten.


Vier Prinzipien für eine zukunftsfähige Eigentumsstrategie

Wie kann eine Familie vermeiden, dass ihre Eigentumsverhältnisse zu einer Zeitbombe werden?


Wir empfehlen vier zentrale Maßnahmen:

  1. Regelmäßige Überprüfung Eigentumsstrukturen sollten nicht eingefroren, sondern regelmäßig hinterfragt werden. Alle drei Jahre ist ein guter Rhythmus, um zu prüfen, ob Verträge noch zur Realität von Familie und Unternehmen passen.


  2. Disziplinierte Konsenskultur Wer den Dialog über Eigentum nur dann führt, wenn es brennt, verliert wertvolle Zeit. Familien, die den Austausch zur Gewohnheit machen, bauen substantielle Fähigkeiten und eine belastbare Diskussionskultur auf.


  3. Schwierige Themen nicht vertagen Viele Eigentümer scheuen sich, heiße Eisen wie Nachfolge oder Exit-Regelungen offen zu besprechen. Doch je länger diese Themen vermieden werden, desto schwieriger wird die Lösung.


  4. Berater gezielt einbinden Externe Experten helfen, den Prozess anzugehen, praktisch zu gestalten und emotionale Blockaden zu überwinden. Sie sorgen für Sicherheit und Klarheit – und verhindern, dass Entscheidungen aus Angst oder Unsicherheit vertagt werden.


Eigentum ist nicht starr – sondern ein lebendiges Spiegelbild der Familiendynamik

Moderne Rechtssysteme ermöglichen es, selbst vermeintlich unwiderrufliche Strukturen zu überarbeiten, wenn die Beteiligten sich einig sind. Doch Konsens entsteht nicht über Nacht. Er ist das Ergebnis von kontinuierlicher Beziehungspflege, ehrlichem Dialog und strategischer Weitsicht.


Familien, die ihr Eigentum regelmäßig überprüfen und eine lebendige Dialog- und Konsenskultur pflegen, gewinnen nicht nur Kompetenz, sondern auch Kontrolle über ihre eigene Zukunft. Wer hingegen starr an alten Verträgen und Urkunden festhält, läuft Gefahr, genau das zu verlieren, was er eigentlich bewahren wollte: den Zusammenhalt der Familie – und die Zukunft des Unternehmens.

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c/o Hochschule München  |  Bayrische Spitzenprofessur für Transformation & Innovation in Familienunternehmen

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