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AutorenbildChristian Schiede

Gesundes Unternehmenswachstum und Vermögensbildung außerhalb des Familienunternehmens


Im Gegensatz zu Publikumsgesellschaften ist Wachstum für Familienunternehmen, zumindest für diejenigen mit denen wir in über 20 Jahren zusammengearbeitet haben, kein Selbstzweck und kein Ziel, was auf Teufel komm raus verfolgt wird. Wachstum ist eine attraktive Option, wenn Rendite-, Risiko- und Liquiditätskorridore eingehalten werden.


Wenn wir z.B. zu Beginn eines Strategieprojektes das Familienunternehmen so gut wie möglich verstehen wollen, dann stellen wir in den Gesellschaftern in der Regel folgende Fragen:


  1. Wie hoch ist die historische Reinvestitionsrate? Meistens ist diese nicht präsent, aber jedes Familienunternehmen haben eine. Was sagt diese Zahl über die früheren Absichten der Eigentümer aus?

  2. Gibt es heute eine verbindlich festgelegte Reinvestitionsquote und wie hoch ist diese? Auswirkungen hat die jetzt festgelegte Zahl? Führt Ihre aktuelle Reinvestitionsquote zu unzufriedenen Eigentümern? Gibt es Bereiche mit Unterinvestitionen im Unternehmen oder Fälle von verschwendeten Investitionen?

  3. Hat die Reinvestitionsquote für uns Priorität? Haben wir eine auf die strategischen Entwicklungsziele des Familienunternehmens abgestimmte Eigentümerstrategie. Hat die Reinvestitionsquote Vorfahrt oder die Gewinnentnahme?

  4. Was wäre mit einer Änderung des Reinvestitionssatzes verbunden? Erwarten Sie, dass sich alle Eigentümer schnell einig wären, oder würden unterschiedliche Ziele und Erfahrungen eine Anpassung quasi unmöglich machen?


Sobald wir Antworten haben, teilen wir unsere Gedanken mit dem Beirat und der Unternehmensführung. Wir loten ihre Reaktion auf eine Änderung des Reinvestitionssatzes aus. Wir fragen, was sie mit einer höheren Reinvestitionsquote tun würden, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie und wohin sie das langfristige Wachstum des Unternehmens steuern würden. Und schließlich, wenn eine Entscheidung über eine angepasste Reinvestitionsrate getroffen wurde, ist es wichtig einen smarten Steuerungs- und Verbesserungsprozess einzuführen, in den Eigentümer, Beirat und Geschäftsführung systematisch eingebunden sind.


Die „Reinvestitionsrate“ eines Familienunternehmens - der Prozentsatz aller Gewinne, die in das Stammgeschäft oder neue Unternehmungen reinvestiert werden, anstatt an die Eigentümer ausgeschüttet zu werden - ist unserer Erfahrung nach die wichtigste Kennzahl, um festzustellen, ob das Unternehmen langfristig zukunftsfähig ist und unternehmerisch unabhängig agieren kann. Keine andere Zahl drückt die Absicht der Eigentümer unserer Erfahrung nach besser aus.


Die Reinvestitionsrate ist die Antwort - explizit oder implizit - auf die Frage: Wie engagiert sind wir als Eigentümer, unser Kapital gemeinsam in dieses Unternehmen zu reinvestieren?


Wenn Familienunternehmen anfangen, sich auf die Reinvestitionsrate zu konzentrieren - anstatt auf Gewinnausschüttung - dann stärkt dies das Fundament („Warum besitzen wir diese Vermögenswerte gemeinsam?“) und die Vermögenssicherung („Wie könnte das Unternehmen diese Mittel nutzen?“)

Die Reinvestitionsrate kann signalisieren, ob Ihr Familienunternehmen auf einem nachhaltigen Wachstumspfad ist oder Gefahr läuft, sich selbst auszubluten. Wie hoch oder niedrig Eigentümer die Reinvestitionsrate festlegen, ist immer noch das beste Signal für ihre langfristigen Absichten für das Unternehmen. In diesem Artikel diskutieren wir, wie man eine passende Reinvestitionsrate für Ihr Familienunternehmen bestimmen kann.


Beispiel aus der Praxis

Viele Jahre lang stellte Bettina kaum noch Fragen zu ihrem Familienunternehmen, einem erfolgreichen Technologieunternehmen in der dritten Generation. Bettina hatte eine Karriere als Lehrerin außerhalb des Familienunternehmens verfolgt, aber sie war stolz darauf, wie das Unternehmen unter der Führung ihres Onkels schnell und profitabel gewachsen war. Sie vertraute darauf, dass er die richtigen Entscheidungen sowohl für das Unternehmen als auch für die Eigentümerfamilie treffen würde. Historisch gesehen hatte das Unternehmen auf dem Papier viel Wert für die Eigentümer geschaffen, aber relativ kleine Dividenden ausgeschüttet. Als ihr Onkel aber entschied, die Zügel an den ersten familienfremden Geschäftsführer zu übergeben, wusste Bettina, dass es an der Zeit war, sich stärker als Eigentümerin zu engagieren, war sich aber gleichzeitig sehr unsicher, wie sie vorgehen sollte. Das Unternehmen gedieh und begann, profitabler zu werden - viel profitabler. Nun baten der Beirat und der neue Geschäftsführer die Gesellschafter um eine Richtungsentscheidung bei der Gretchenfrage für jedes Unternehmen:

Was wollt Ihr als Eigentümer von eurem Unternehmen?

Als Bettina den kaufmännischen Leiter bat, sie auf den neuesten Stand der Finanzdaten zu bringen, brachte er ihr einen dicken Ordner mit Berichten in winziger Schrift mit und begann, Finanzbegriffe, Zahlen und „KPIs“ zu nennen, die für Sie unmöglich zu verstehen waren. „Finanzer-Kauderwelsch“, sagte sie uns später. Bettina verstand nicht, wie ihr diese Zahlen als Eigentümerin helfen sollten, Entscheidungen zu beeinflussen. Sie wusste, dass sie einen Weg brauchte, um sich durch diesen Zahlendschungel zu bahnen und einen Ansatzpunkt zu finden, um ihre Reise zu beginnen.


Bettinas Erfahrung ist bei Familienbesitzern, die nicht in ihrem Unternehmen arbeiten, aber dennoch engagierte Eigentümer sein möchten, unserer Erfahrung nach eher die Regel als die Ausnahme. Die gute Nachricht ist, dass engagierte Eigentümer sich nicht durch diese umfangreichen Berichte kämpfen müssen. Wir sind davon überzeugt, dass engagierte Eigentümer damit beginnen sollten, sich auf eine einzelne Zahl zu konzentrieren: die Reinvestitionsrate. Mit „Reinvestitionsrate“ meinen wir den Prozentsatz aller Gewinne, die in das Stammgeschäft oder neue Unternehmungen reinvestiert werden, anstatt an die Eigentümer ausgeschüttet zu werden. Wir haben Familien verschiedene Namen für die „Reinvestitionsrate“ verwenden sehen, wie z.B. DCF (freier Cashflow). Und wir haben leichte Abweichungen in der Berechnung der Reinvestitionsrate gesehen. Aber sie messen im Wesentlichen immer dasselbe - die Grundsatzentscheidung aller Eigentümer, wie viel reinvestiert und wie viel ausgeschüttet werden soll.


Warum die Reinvestitionsrate so wichtig ist

In vielen Gründerunternehmen, in denen ein geschäftsführender Gesellschafter versucht, ein Erbe für seine Familie aufzubauen, sehen wir oft Reinvestitionsraten von 95% oder mehr. Fast alle verfügbaren Geldmittel werden in das Unternehmen reinvestiert. Zu Beginn reinvestieren solche Eigentümer so stark, weil sie Ihren Traum von einem blühenden Unternehmen realisieren wollen.


In einem extremen Fall kennen wir einen erfolgreichen Gründer eines Immobilienunternehmens, der trotz Unternehmenswert von mehr als 30 Millionen Euro in einer gemieteten Zweizimmerwohnung lebte, noch nie 1 Euro Gewinn ausgeschüttet hatte und ein Gehalt bezog, das etwas höher war als das eines Hochschulabsolventen. Er lebte größtenteils vom Einkommen seiner Ehepartnerin. Er wollten so viel wie möglich reinvestieren, und das tat das auch. In einer Analogie zu nicht-familiären Unternehmen zahlen viele Technologieunternehmen viele Jahre lang keine Dividenden während ihrer Wachstumsphase. Ihre Reinvestitionsrate liegt oft bei 100%. Wie im Fall des Gründers hat organisches Wachstum absolute Priorität.


Auf der anderen Seite haben wir einige Familienunternehmen mit einer nahezu 0%igen Reinvestitionsrate gesehen. Wir hatten einen Mandanten, der eine fabelhafte Marken im Konsumgütergeschäft mit hervorragenden Wachstumsaussichten besaß. Die Eigentümer (Geschwister, die das Geschäft, das ihr Vater begonnen hatte, aufgebaut hatten), steckten jedoch in ständigen und destruktiven familiären Konflikten fest. Nach Jahren des Versuchs, gemeinsam in diesem Unternehmen zu arbeiten und es in gleichen Teilen zu besitzen, trafen sie schließlich die Entscheidung, alle verfügbaren Mittel abzuziehen, um ihr Vermögen unabhängig voneinander zu investieren. Sie setzten ihre Reinvestitionsrate fast auf null. Sie glaubten, dass, wenn sie als gleichberechtigte Eigentümer in destruktive Rechtsstreitigkeiten geraten würden, die die Zukunft ihres Unternehmens gefährden würden. Sie verwandelten ihr Unternehmen also zuerst in eine „Cashcow“, die sie molken, und um sich danach auf den Weg zum Verkauf ihres Unternehmens an andere Eigentümer zu begeben. Diese Entscheidung bedeutete, dass sie das Wachstum ihres persönlichen Vermögens priorisierten und das Unternehmen schauen musste wie es zurechtkommt.

Die meisten Eigentümer verhalten sich nicht so wie in diesen extremen Beispielen dargestellt. Aber wie sie ihre Reinvestitionsrate festlegen, ist immer noch das beste Signal für ihre langfristigen Absichten gegenüber dem Familienunternehmen. In Mehrgenerationen-Familienunternehmen beobachten wir oft eine natürliche Spannung zwischen Eigentümern und der Unternehmensführung. Während letztere typischerweise auf Wachstumskurs gehen wollen und daher für mehr Reinvestitionen in das Unternehmen plädieren befürworten gerade Gesellschafter, die nicht in das Tagesgeschäft eingebunden sind dafür mehr Liquidität aus dem Unternehmen zu nehmen, um ihr Einkommen zu verbessern oder um es anderswo zu reinvestieren. Es ist nicht unserer Erfahrung nach ungewöhnlich, dass Gesellschafter der dritten Generation keine oder nur eine niedrige Dividenden erhalten, weil sie als Eigentümer versuchen, den Willen des Gründers zu respektieren, die den größten Teil der Gewinne stets in das Unternehmen zurückfließen liessen. Zum Beispiel kennen wir Eigentümer eines Familienunternehmens im Wert von mehr als 100 Millionen Euro, die fast ihr gesamtes Leben keine finanziellen Nutzen aus ihren Anteilen erhalten haben. Derart hohe Reinvestitionsraten  bringen Eigentümer unserer Erfahrung nach regelmäßig dazu, sich zu fragen:

„Was ist überhaupt der Sinn, dieses Familienunternehmen zu besitzen?“

Sie sind auf dem Papier wohlhabend, aber spüren im echten Leben nichts davon, und sie beginnen, Identifikation und Verbundenheit zum Familienunternehmen zu verlieren. Wir haben oft gesehen, dass dies zu Forderungen nach dem Verkauf des Unternehmens oder nach individuellen Ausstiegen führt. Langfristig ist keines der Extreme für die meisten Familienunternehmen gesund.


Wie legt man eine gesunde Reinvestitionsrate bzw. Ausschüttungshöhe fest?

Wie bestimmen Sie also die richtige Reinvestitionsrate für Ihr Familienunternehmen? Viele Eigentümergruppen spüren die Spannung, Dividenden niedrig zu halten. Viele Unternehmer.Innen haben uns gesagt, dass sie mindestens so viel Vermögen pro Person an die nächste Generation weitergeben, wie sie selbst erhalten haben. Um dies zu erreichen, müssen die meisten Familienunternehmen über die gesamte Laufzeit in realen Begriffen um ca. 5% pro Jahr wachsen (abhängig von der Anzahl der Kinder in der nächsten Generation). Ein solches Wachstum erfordert in der Regel anhaltende und erhebliche Reinvestitionen.

Bei vielen Mandanten haben wir festgestellt, dass gesunde Mehrgenerationen- Familienunternehmen eine Reinvestitionsrate zwischen 75% und 90% festlegen, um die Wachstumsanforderungen des Unternehmens zu ermöglichen und gleichzeitig die Voraussetzungen für die Eigentümer schaffen, zu Lebzeiten etwas von dem geschaffenen Wert zu genießen.

Mit anderen Worten, die Eigentümer sind entschlossen, dem Unternehmen genügend „Sauerstoff“ für langfristiges Wachstum zu geben, während sie gleichzeitig den Aufbau von Familienvermögen außerhalb des Unternehmens ermöglichen.

Wenn die Eigentümer eine Reinvestitionsrate von weniger als 75% festlegen, signalisiert dies unserer Erfahrung in der Regel die Absicht, sich von ihrem Familienunternehmen zu treffen, anstatt vorausschauend und langfristig in dessen Zukunft zu investieren.

Die Reinvestitionsrate steht im Mittelpunkt dessen, was wir „Eigentümerstrategie“ nennen.


Kompetente Eigentümer entscheiden immer wieder gemeinsam, wie sie die Trade-offs zwischen ihren Zielen für das Wachstum im Unternehmen, Liquidität für sich selbst und dem Wunsch, die Kontrolle darüber zu behalten, wie das Unternehmen die Werte ihrer Familie widerspiegelt, ausbalancieren wollen.

Anders als börsennotierte Unternehmen, die sich darauf konzentrieren müssen, das Wachstum des Aktienkurses zu maximieren, können privat geführte Familienunternehmen wählen, den Erfolg nach ihren eigenen Maßstäben zu definieren. Die Reinvestitionsrate ist dabei zentral für die Strategie der Eigentümer: Hier ist, was wir priorisieren, und hier sind die Trade-offs, die wir bereit sind zu machen. Mit diesem strategischen Ansatzpunkt können produktive Diskussionen unter den Eigentümern geführt werden - und dann mit dem Beirat und der Geschäftsführung besprochen werden.


 

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