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AutorenbildChristian Schiede

Das richtige Konfliktniveau finden

Von außen schien die Familie Frank alles zu haben. Heinrich, der Großvater und Familienpatriarch, hatte es geschafft, aus einem kleinen Tante-Emma-Laden eine landesweite Kette und Marktführer zu machen. Das Unternehmen ermöglichte den nächsten beiden Generationen nicht nur einen Lebensstil, der unvorstellbar gewesen wäre, als Heinrich sein erstes Geschäft eröffnete, sondern es trug auch dazu bei, dass die Familie außerordentlich eng zusammenhielt. Heinrichs Söhne lebten alle in unmittelbarer Nähe, ebenso wie ihre Kinder, von denen die meisten nach ihrem Abschluss für das Unternehmen arbeiteten und einen Großteil ihrer Freizeit miteinander verbrachten.

Unter der Oberfläche existierte jedoch eine andere Realität. Der tragische Tod eines von Heinrichs Kindern vor Jahren war für die Familie verheerend. Diese Tragödie brachte die Familie noch näher zusammen, etablierte aber faktisch auch die Norm, Konflikte um jeden Preis zu vermeiden. Warum streiten, wenn das Leben kurz und kostbar ist?

Dies bedeutete jedoch, dass die Familienmitglieder eine solche Angst hatten, die familiären Beziehungen zu beschädigen, dass sie äußerst zurückhaltend waren, sich gegenseitig zu konfrontieren – sei es in persönlichen oder geschäftlichen Angelegenheiten. Meinungsverschiedenheiten wurden schnell überdeckt, um den Anschein von Harmonie aufrechtzuerhalten. Dies hatte jedoch Kosten, die ihnen erst viel später bewusst wurden.


Die Gefahr von zu wenig Konflikt

Für die meisten Menschen sind Konflikte unangenehm. Das kann besonders auf Familien zutreffen, die miterlebt haben, wie Familienkonflikte erfolgreiche Unternehmen in Stücke gerissen haben: Denken Sie an die Gründer von Adidas in Deutschland oder an die fiktiven Familien der Fernsehsendung aus den 1980er Jahren Dallas oder der aktuellen HBO-Show Succession.

Was weniger oft erkannt wird, ist, dass zu wenig Konflikte in einem Familienunternehmen ebenso destruktive Auswirkungen haben können.

Wenn ich mit Mandanten über Konflikte in Familienunternehmen spreche, wird meist schnell klar, dass die Auswirkungen von zu viel und zu wenig Konflikten auf die Familie und ihr Unternehmen nahezu identisch sind.

In beiden Fällen leidet das Unternehmen unter begrenztem Wachstum, schlechter Entscheidungsfindung oder dem Verlust von Wettbewerbsvorteilen. In schweren Fällen führt dies nicht selten zum Verkauf oder der Aufspaltung des Unternehmens. Ebenso neigen Familien dazu, sich in Fraktionen aufzuspalten, zwischen denen dann entweder Funkstille herrscht oder "offener Krieg". Die Mechanismen sind unterschiedlich, aber die Ergebnisse sind oft die gleichen.


Die Dosis entscheidet über Gift oder Medizin

Konflikte sind immer ein „Dosierungs-Problem“. Beide Enden des Spektrums sind letztendlich nicht nachhaltig – der beste Platz liegt also in der Mitte. Unser Sonnensystem veranschaulicht diesen Zusammenhang perfekt. Die Erde befindet sich in einer Zone, die Astronomen als "Sweet-Spot" bezeichnen. Viel näher an der Sonne wäre es zu heiß, um Leben zu ermöglichen, viel weiter entfernt wäre es zu kalt. Obwohl die Gründe unterschiedlich sind, machen beide Extreme das Leben unbewohnbar.

Ich bitte meine Mandanten gern, sich Konflikte so vorzustellen, dass sie zwei Gesichter haben: äußerlich und innerlich. Das Äußere eines zu großen Konflikts ist das, woran wir normalerweise denken: das Geschrei, das Schreien, die nach außen geäußerte Wut.

Das innere Gesicht von zu wenig Konflikten ist anders, es brodelt leise, ein Eisberg der Gefühle, dessen Oberfläche zwar angenehm genug ist, aber die Gefahr darunter liegt.

Zwischen diesen beiden Extremen liegt unserer Erfahrung nach eine konstruktive und langfristig gesunde Mitte, in der schwierige Probleme angesprochen und gelöst werden können, ohne persönliche Beziehungen oder gemeinsame Vermögenswerte substanziell zu gefährden.

Umgang mit unvermeidlichen Konflikten

Die Realität ist, dass Konflikte unvermeidlich sind, wenn die Interessen einer Familie nicht perfekt aufeinander abgestimmt sind, was meiner Erfahrung nach selten vorkommt. Daher besteht die zwingende Priorität darin, Konflikte aktiv zu bewältigen und nicht, Auseinandersetzungen zu tolerieren, zu ignorieren oder unmöglich zu machen.

In über 20 Jahren Beratung von Familienunternehmen habe ich gelernt: Konflikte, die nicht bewältigt werden, eskalieren unweigerlich.

Für Familien auf der „zu viel“-Seite des Spektrums besteht die Herausforderung darin, die Intensität des externen Konflikts zu reduzieren, damit konstruktive Gespräche überhaupt stattfinden können. Familien auf der „zu wenig“-Seite müssen lernen, anderer Meinung zu sein, um den Druck abzubauen, der sich durch interne Konflikte zwangsläufig aufbaut. Meiner Erfahrung nach kommt die „zu wenig“-Seite dieses Spektrums in Familien deutlich häufiger vor, auch wenn dieser Aspekt von Konflikten in den Medien weniger Beachtung findet. Die meisten Familien, mit denen ich gearbeitet habe, sind eher so konditioniert, dass sie nicht miteinander streiten. Fragen Sie in Ihrem Umfeld mal herum, was ihnen am wichtigsten ist, und sie werden ziemlich sicher hören: "meine Familie, einschließlich dem starken Wunsch, 'quality-time' miteinander zu verbringen und Feiertage, Hochzeiten usw. zusammen zu feiern". Dieser Druck, die perfekte Familie zu sein, dem kaum jemand offen widerspricht, sät und nährt oft die Eskalation, die dann zur alles zerstörenden Kraft werden kann.

Dieser Druck, die perfekte Familie zu sein, dem kaum jemand den ich kenne offen widerspricht, sät und nährt oft die Eskalation, die dann zur alles zerstörenden Kraft werden kann.

Die Definition von übermäßigem Konflikt

Was tatsächlich einen übermäßigen Konflikt darstellt (im Gegensatz zu konstruktiver Meinungsverschiedenheit usw.), hängt meist von der persönlichen Interpretation ab und variiert je nach Kultur und Werten der jeweiligen Familie. Manche Familien können externe Konflikte leichter tolerieren als andere, und auch das Ausmaß, in dem Menschen ihre Interessen stoisch zurückstellen, um die gemeinsame Sache zu unterstützen, ist unterschiedlich ausgeprägt. Hier sind drei Fragen, mit denen Sie das Gespräch darüber beginnen können, wo sich Ihre Unternehmerfamilie im Spektrum der Konfliktintensität einordnen lässt:


  1. Gibt es eine allgemeine Zufriedenheit mit der Ausrichtung des Familienunternehmens? Sie sind vielleicht nicht in jeder Hinsicht zufrieden, aber wenn Sie jemand fragen würde, ob Sie „zusammen besser sind als getrennt“, würden Sie mit einem eindeutigen Ja antworten.

  2. Werden Entscheidungen zu kritischen Themen getroffen? Sie gehen vielleicht nicht auf jeden einzelnen Punkt der Meinungsverschiedenheit ein, aber alle sind sich einig, dass kein „Elefant im Raum“ ist.

  3. Sind familiäre Beziehungen gut genug, um gemeinsam zu arbeiten und zu feiern? Man muss nicht beste Freunde sein, um gemeinsam bedeutende Vermögenswerte zu besitzen. Stattdessen müssen Sie gute Geschäftspartner sein, was bedeutet, dass Sie bei den großen Themen auf einer Linie sind und zumindest die meiste Zeit die Gesellschaft des anderen genießen können.


Praktische Handlungsempfehlungen

Ich habe viele Unternehmen gesehen, die sich mit dem Familiennamen als Markenzeichen positioniert haben. Denken Sie nur an HIPP, das sehr erfolgreich mit dem Slogan wirbt: "dafür stehe ich mit meinem Namen". Die Kehrseite dieser Medaille ist, dass die Marke fast unheilbar beschädigt wird, wenn es zwischen den Namensgebern öffentlichkeitswirksam zum Streit kommt. Eine Unternehmerin sagte mir einmal: „Es ist seltsam, aber es ist die Wahrheit. Wir können zusammenkommen und laut miteinander streiten, was das Beste für uns als Unternehmen in der Zukunft ist, aber wir tun es alle immer in dem Glauben und mit dem tiefen Wissen, dass jeder von uns das Beste für die Gemeinschaft erreichen will.“


Wenn Sie etwas Ähnliches über Ihr Familienunternehmen sagen können, besteht eine gute Chance, dass Sie Ihre ideale Konfliktzone bereits gefunden haben.

Wenn nicht, befinden Sie sich möglicherweise in der gleichen Lage wie die Familie Frank. Hier begannen sich die Gemüter im Laufe der Jahre aufzuheizen – nicht, weil es zu viele Meinungsverschiedenheiten gab, sondern weil wichtige Entscheidungen vermieden wurden, anstatt sich offen mit relativ geringen Meinungsverschiedenheiten auseinanderzusetzen. Schließlich beschloss die Familie, das Unternehmen lieber zu verkaufen, als die sich angestauten Meinungsverschiedenheiten anzugehen. Dies hätte nämlich bedeutet, die Frage zu stellen, wie das Unternehmen an die dritte Generation übergeben werden sollte. Alle Familienmitglieder waren sich aber so nah und kannten sich so gut, dass sie wussten, dass es in dieser Frage unmöglich war, einen Konsens zu finden, der ohne schwerwiegende Meinungsverschiedenheiten und Auseinandersetzung zu erreichen wäre. Bedauerlicherweise verschwanden die ungelösten Probleme der Familie Frank durch den Verkauf des Unternehmens jedoch nicht. Historische Missstände blieben bestehen, und ohne das Familienunternehmen, das die Franks zusammenhielt, begann die Familie auseinanderzudriften. Fünf Jahre später betrachteten viele Familienmitglieder den Verkauf als Fehler. Zu diesem Zeitpunkt war aber nicht nur die Firma, sondern auch die engen familiären Beziehungen unwiederbringlich weg.

Niemand sucht aktiv nach Konflikten innerhalb eines Unternehmens – und noch schlimmer, innerhalb einer Familie. Aber manche Konflikte sind tatsächlich gesund.

Konflikte bieten immer die Chance, die Luft von anhaltenden Ressentiments und potenziellen Problemen zu befreien und sogar eine konstruktive Dynamik in Gang zu setzen, um anderer Meinung zu sein und dennoch gemeinsam bessere Entscheidungen zu treffen als alleine. Ein Konflikt wird die Familie nicht zerstören – wenn er gut gehandhabt wird, kann er die Bindungen und das Vertrauen noch stärker machen.

 

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